Pagliacci - Konzept

Regiekonzept Pagliacci (Kurzfassung)
Kurzfassung Regiekonzept zu Ruggiero Leo
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Regiekonzept Pagliacci (ausführliche Fassung)
Regiekonzept Pagliacci.pdf
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Regiekonzept Pagliacci (Auszug Kurzfassung)

 

Thematische Schwerpunkte der Inszenierung

und die daraus resultierende Fassung

 

Die spannendsten Themen der Oper „Pagliacci“ sind meines Erachtens einerseits das in der zentralen „Vesti la giubba“-Arie thematisierte trotz Seelenqual Funktionieren müssen: man ist eingebunden in ein, nur zum Teil selbstgewähltes, oder vielleicht auch komplett aufgezwungenes System und hat darin seinen Zweck zu erfüllen, und zwar ohne Rücksicht auf emotionale Probleme oder Schwächen, entweder man schafft es, das Tempo mit zu laufen, oder man strauchelt und fällt. Andererseits – und damit zusammenhängend - das Verschwimmen von Realitäten, formal ja bereits enthalten durch die Struktur des „Spiel im Spiels“, aber auch inhaltlich angelegt durch die Entwicklung Bajazzos, der aufgrund seiner emotionalen Überbelastung die Realität des Stück im Stücks am Ende nicht mehr von seiner eigenen Realität trennt.

Um diese beiden Themen noch eindringlicher beleuchten zu können, entstand die Idee, die Oper in folgender Fassung zu spielen:

 

- II. Akt, 1. Szene bis incl. „La commedia è finita!“ (‚Nachspiel‘ gestrichen)

- Beginn Oper (Prolog) bis exklusive „Si può?“ (also ‚Ouvertüre‘ bis zum Auftritt des Prologs)

- I. Akt 1. Szene

Ab hier Stück fortlaufend (Glockenchor und die vorhergehenden Takte (nach „Ma poi… ricordatevi! A ventitrè ore!“) gestrichen) bis zum Ende.

- Prolog ab „Si può?“ bis Ende Prolog.

 

Auf diese Weise erlebt man die „commedia“, den Teil, in dem sich die Problematik der Oper verdichtet und zuspitzt, nicht nur als dramatischen Höhepunkt und tragischen Endpunkt, damit aber ja sozusagen auch „nur“ als verhängnisvollen ‚Unfall‘ und Einzelfall, sondern vielmehr als immer wiederkehrenden Albtraum, dem kein Ende zu setzen ist, weil das Ende, also der Mord an Nedda/Colombina, bereits im Stück vorgesehen ist und somit keine klare Entscheidung mehr getroffen werden kann, auf welcher Ebene der Realität man sich befindet: Die commedia, also das Stück das dargeboten wird, integriert in dieser Fassung den Mord, er gehört als schauerliches Ende dazu. Gleichzeitig entsteht durch das zweifach (eigentlich dreifach, darauf wird später noch einzugehen sein) Spielen der commedia-Situation im Zuschauer eventuell ebenfalls das Gefühl des „schon wieder!“ und spiegelt so direkt die emotionale Beklemmung der Protagonisten ins Publikum.

Daneben ist „Pagliacci“ nicht zuletzt auch eine Oper über die Thematik des Clowns: Der, über den man lacht, und zwar nicht nur weil er selbst Späße macht, sondern weil er unzulänglich und grotesk ist: Er hat Kleidung die nicht passt, ist ungelenk, was er anfasst misslingt ihm und sozusagen als Flucht voraus reißt er Grimassen und lässt sich auslachen. Die krasseste Form der Befriedigung dieser Form des Humors, der Sensationsgier und auch des Gruselgrauen-Spaßes eines Publikums ist die Freakshow. Geschockt und inspiriert durch den Film „Freaks“ (1932) von Tod Browning entstand die Idee, die commedia-Truppe als Gruppe von fahrenden ‚Freaks‘ darzustellen, die versuchen, sich durch eine künstlerische Stilisierung ihrer Behinderung, ihres „speziell“ Seins, eine Existenzgrundlage zu schaffen.

Ein wichtiger Punkt dabei ist, dass die Inszenierung nicht versucht, das Stück in irgendeiner bestimmten Zeit zu verorten, noch konkrete politische Aussagen zu treffen oder Verhältnisse anzuprangern. Die gewählten Bilder stehen für Zustände und emotionale Ausgangssituationen, dies ist kein Pamphlet zur Besserung der Situation behinderter Menschen. Es geht vielmehr um die Problematik des ausgestellt Seins und sich Ausstellens, dem jeder Künstler unterworfen ist, um das ‚anders‘ Sein und das darunter Leiden und gleichzeitig aber Vermarkten und um das gefangen Sein in den eigenen Grenzen und das Scheitern am eigenen Schicksal. Die körperlichen Deformierungen der Protagonisten erzeugen dabei im Betrachter ein Gefühl das Unbehagens: Der voyeuristische Trieb einer jeden Form des Betrachtens, der ja im Theater seine moralisch unbedenkliche Befriedigung findet, wird unmittelbar spürbar, allerdings nicht, um den Zuschauer zu verurteilen, sondern um das Thema des ‚sich Prostituierens‘ der Protagonisten zu verdeutlichen.

Das tragikomische Moment des Clowns soll in dieser Darstellung immer wieder anklingen, dargestellt durch zwischendurch anklingende Lächerlichkeit der Figuren in ihrem verzweifelten Versuchen, die in ihrem grotesk Sein zum Lachen sind, auch wenn einem dieses Lachen sofort im Halse stecken bleibt.